Über Ask an Expert

„Ask an Expert“ bietet Patient:innen die Chance, ihre individuellen Fragen zur seltenen Erkrankung Polycythaemia Vera (PV) an erfahrene Experten in dieser Indikation zu stellen. Denn das Leben mit PV stellt Betroffene vor viele Herausforderungen. Oft fühlen sich Patient:innen unsicher hinsichtlich des Krankheitsverlaufs oder verfügbarer Behandlungsmöglichkeiten. Dann stellen Sie jetzt Ihre Fragen zur PV an unsere Experten.

Die Unternehmensgruppe AOP Health, die sich als europäischer Pionier dem Bereich integrierter Therapien für seltene Erkrankungen und Intensivmedizin widmet, bietet die Reihe „Ask an Expert“ mit ausgewiesenen Experten auf dem Fachgebiet der myeloproliferativen Erkrankungen an.

Patientensprechstunde am 28. Februar 2022

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Nächster Termin:

Experten beantworten Ihre Fragen zur Erkrankung Polycythaemia Vera.
Patientensprechstunde am 29. Februar 2024 von 17 bis 18 Uhr.

Einführung
Am "Tag der seltenen Erkrankungen" fand die erste Patientensprechstunde der Reihe „Ask an Expert“ statt. Prof. Andreas Reiter, Leiter des Exzellenzzentrums für "Myeloproliferative Neoplasien“ in Mannheim, begrüßt die Teilnehmer zur Veranstaltung. Er wird gemeinsam mit Prof. Martin Griesshammer, Direktor der Universitätsklinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Palliativmedizin am Johannes Wesling Klinikum Minden, Fragen von Patienten beantworten, die an Polycythaemia Vera (PV) erkrankt sind. Die Fragen konnten vor der Veranstaltung anonym eingereicht werden und wurden in verschiedene Themenbereiche gegliedert.

PV Allgemein
Im ersten Teil informieren die Experten über die Perspektive der Patienten:

  •  Die Prognose für Patienten mit Polycythaemia Vera (PV) ist heute besser als je zuvor.
  • In den letzten 20 Jahren gab es enorme Fortschritte in der Behandlung von PV.
  • Das Hauptziel der Behandlung ist die Verhinderung von Komplikationen und die Linderung von Symptomen.
  • PV ist eine chronische Erkrankung, die eine dauerhafte Medikation und Betreuung erfordert.
  • Jeder PV-Patient sollte ASS einnehmen, Aderlässe erhalten und ggf. eine zytoreduktive Therapie bekommen.
  • Die Prognose für das Überleben ist unter einer Therapie sehr gut.
  • Die Behandlungsmöglichkeiten sind effektiv, um thromboembolische Komplikationen zu vermeiden.
  • Fatigue (Müdigkeitssyndrom) und Juckreiz (vor allem - aquagener Pruritus) sind die Symptome, die im Vordergrund stehen.
  • Die allogene Transplantation wird bei PV nur äußerst selten diskutiert und ist normalerweise keine Option.

Diagnose und erste Maßnahmen
Im weiteren Verlauf diskutieren Prof. Reiter und Prof. Griesshammer die Diagnose der Polycythaemia Vera (PV) und erste Maßnahmen. Die Diagnose einer PV erfolgt, neben den erhöhten Blutwerten, in der Regel durch eine Knochenmarkpunktion und einer genetischen Analyse, insbesondere auf die JAK2V617F-Mutation.

Erste Maßnahmen bei PV sind immer ein Aderlass (um das überschüssige Blutvolumen zu reduzieren) und die Gabe von ASS (um das Blut zu verflüssigen), mit dem Ziel, den Hämatokrit-Wert unter 45% zu senken und thromboembolische Komplikationen zu verhindern.

Symptome wie Fatigue und Juckreiz werden durch diese Maßnahmen oft nicht ausreichend behandelt. In einigen Fällen sind weitergehende Maßnahmen und andere Medikamente erforderlich.

Die Größe der Milz wird bei der Diagnose und im Verlauf der PV überwacht, da sie ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.

Für die Diagnose ist eine Knochenmarkpunktion im Einzelfall nicht notwendig. Dies ist der Fall, wenn die Diagnose eindeutig über einen Nachweis der Mutation und dem erhöhten Hämatokrit-Wert klar stellbar ist. Beide Experten empfehlen aber eine Knochenmarkpunktion. Besonders bei jüngeren Patienten kann eine Knochenmarkpunktion hilfreich sein, um später den Verlauf der Erkrankung besser einschätzen zu können.

Es gibt Fälle, in denen die Diagnose nicht eindeutig ist, wie z.B. bei der "maskierten Polycythaemia Vera" oder einer präfibrotischen Myelofibrose. Besonders in solchen Situationen kann eine Knochenmarkpunktion sinnvoll sein.

Die Unterscheidung zwischen PV und anderen Myeloproliferativen Erkrankungen wie Essentieller Thrombozythämie (ET) ist wichtig, da sich die Therapieansätze unterscheiden.
So ist z.B. die Behandlungen mit Interferon nur für die PV zugelassen, nicht aber für die ET. Allerdings muss diese Unterscheidung nicht sofort oder innerhalb weniger Wochen erfolgen und kann, je nach Verlauf, auch erst nach einigen Monaten oder einem Jahr erfolgen.

Nebenwirkungen der eingesetzten Medikamente
Prof. Reiter betont die Bedeutung der Entscheidung für die Therapieform und erwähnt die diesbezüglichen Nebenwirkungen von ASS, Aderlass, Hydroxyurea (HU) und Interferon.
Prof. Griesshammer erklärt, dass Aderlass v.a. mittel- bis langfristig Nebenwirkungen aufgrund des damit einhergehenden Eisenmangels haben kann. Hydroxyurea kann unerwünschte Wirkungen auf die Haut und Schleimhäute zeigen, während Interferon grippeähnliche Symptome, gelegentlich Autoimmunphänomene oder depressive Verstimmungen verursachen kann.

Prof. Reiter stellt die Frage, ob eine frühzeitige medikamentöse Therapie das Fortschreiten der Krankheit und mögliche Spätfolgen verhindern kann, oder ob Medikamente erst dann sinnvoll sind, wenn stärkere Symptome auftreten. Er erwähnt die vier Kernelemente der Erstlinien-Behandlung: ASS, Aderlass, Hydroxyurea und Interferon. Prof. Reiter erklärt, dass Hydroxyurea bei jungen Patienten möglicherweise nicht als erste Wahl betrachtet wird und dass Interferon eine vielversprechende Option mit geringeren Langzeitnebenwirkungen ist. Er betont jedoch die Notwendigkeit, sowohl kurzfristige als auch langfristige Nebenwirkungen zu berücksichtigen. Er erwähnt, dass Hydroxyurea kurzfristig eine Option sein kann, während Interferon möglicherweise langfristig bevorzugt wird. Beide Experten diskutieren, dass Interferon möglicherweise nach mehreren Jahren Behandlung abgesetzt werden kann.

Prof. Griesshammer bestätigt, dass Interferon positive Effekte auf die Erkrankung hat und die Substanz bei geringer Krankheitsaktivität abgesetzt werden kann. Es gibt jedoch unterschiedliche Meinungen unter Experten darüber, ob Interferon weiterhin eingenommen werden sollte, um die Krankheit noch besser zu kontrollieren. Die endgültige Entscheidung steht noch aus, und zukünftige Entwicklungen werden zeigen, welcher Ansatz bevorzugt wird.

Frage der Frühintervention
Prof. Griesshammer fragt nach der Bedeutung der Frühintervention und nach der Meinung von Prof. Reiter zur Verwendung von Interferon, um das Fortschreiten der Erkrankung bei Patienten mit Polycythaemia Vera zu verhindern. Dieser erklärt, dass in früheren Studien Interferon hauptsächlich bei schwerkranken Patienten getestet wurde, bei denen die Ergebnisse dann nicht so gut waren. Allerdings haben aktuelle Forschungsergebnisse gezeigt, dass Interferon bei PV-Patienten, bei denen die Erkrankung noch nicht weit fortgeschritten ist, effektiver ist als nur Aderlass und ASS.

Prof. Reiter erwähnt eine klinische Studie aus Italien, bei der Interferon zusätzlich zur Standardtherapie mit alleiniger Standardtherapie (ASS plus Aderlass) verglichen wurde. Die Studie zeigte, dass Interferon eine bessere Kontrolle des Hämatokrit-Wertes und anderer Blutwerte ermöglichte. Er betont auch die Langzeitnebenwirkungen des Aderlasses, insbesondere den schweren Eisenmangel, der zu Müdigkeit und Erschöpfung führen kann. Prof. Reiter tendiert dazu, Interferon früher in der Behandlung einzusetzen. Er erkennt jedoch an, dass einige Patienten aufgrund von Nebenwirkungen möglicherweise die Therapie mit Interferon abbrechen.

Prof. Griesshammer stimmt Prof. Reiter zu und sagt, dass Interferon am effektivsten in der Frühphase der Erkrankung wirkt. Es wird klar, dass beide Experten die Frühintervention mit Interferon befürworten, um die Krankheitsprogression bei PV-Patienten zu kontrollieren. Sie erkennen jedoch auch die Bedeutung der individuellen Abwägung zwischen den Vorteilen der Wirkung und den möglichen Nebenwirkungen bei der Entscheidung für diese Therapie an.

Verschiedene Statements zu HU, Juckreiz, Gabe von Eisen, Patientenfall
Prof. Reiter findet es wichtig, dass ein leukämogenes Potential von Hydroxyurea nicht bewiesen ist, und daher kein Argument gegen die Therapie darstellt. Prof. Griesshammer setzt HU nur bei Hoch-Risiko-PV ein, um Thrombosen vorzubeugen.

Prof. Reiter greift die beiden Punkte „Juckreiz“ und „Fatigue“ auf, zu denen sehr viele Patientenfragen eingegangen sind. Prof. Griesshammer führt aus, dass es Daten zu Interferon gegen Juckreiz gibt, dass aber Ruxolitinib die beste Option dagegen ist. Ruxolitinib ist jedoch nicht für die Erstlinienbehandlung der PV zugelassen. Bei Fatigue kann Eisenmangel eine Rolle spielen. Eisen sollte jedoch nur bei kontrollierter PV sehr vorsichtig und unter guter Kontrolle verabreicht werden.

Prof. Reiter betont, dass das Ferritin für den Eisenbestand im Körper ein wichtiger Parameter ist. Wenn dieser niedrig ist, kann das mit ein Grund einer Fatigue bei PV-Patienten sein. Die Verabreichung von Eisen in Tabletten- oder Kapselform kann in bestimmten Fällen zur Besserung der Müdigkeitssymptome beitragen. Eine intravenöse Verabreichung von Eisen ist kontraindiziert.

Prof. Grieshammer fragt, wie unter 30-jährige PV-Patienten mit mäßigen Symptomen behandelt werden sollten.

Prof. Reiter empfiehlt bei jungen PV-Patienten Vorsicht bei der Anwendung von Aderlass und Hydroxyurea aufgrund von Fatigue und Langzeitnebenwirkungen. Er sieht die Anwendung von Interferon als eine Möglichkeit an und betont, dass die Wirksamkeit und Nebenwirkungen individuell abgewogen werden müssen.

Die Diskussion über den Einsatz von Interferon bei jungen PV-Patienten wird als tendenziell positiv bewertet, aber es müssen viele Faktoren berücksichtigt werden.

Bedeutung der Allel-Last
Die Allel-Last ist ein wichtiger Wert, der die Häufigkeit der JAK2V617F-Mutation angibt. Sie wird als Prozentzahl angegeben und kann sich unter Therapie mit Interferon verringern. Eine niedrige Allel-Last unter 10% ist vorteilhaft und kann das Wohlbefinden und die Blutwerte verbessern. Eine niedrige Allel-Last stellt eine gute Voraussetzung dar, dass die Erkrankung sich nicht weiter verschlimmert. Es besteht die Möglichkeit einer Therapie-Pause, wenn die Allel-Last langfristig niedrig bleibt. Es kann aber Monate oder Jahre dauern, bis sich die Allel-Last ausreichend absenkt.

Prof. Griesshammer sagt, dass es noch keine Fälle gibt, in denen die Allel-Last dauerhaft verschwunden ist, aber bereits Patienten mit sehr niedriger Allel-Last zu beobachten sind.

Dosierung
Es wird die Rolle der Dosierung zur Kontrolle der Erkrankung diskutiert:

Prof. Griesshammer meint, mit Ropeginterferon alfa-2bhat man gelernt, dass eine langsame Dosissteigerung wichtig ist, um Nebenwirkungen zu vermeiden. Es wird empfohlen, mit einer niedrigen Dosis zu beginnen und diese langsam zu steigern.

Prof. Reiter schlägt eine zeitlich begrenzte Kombinationstherapie aus Hydroxyurea und Interferon vor, bei Fällen die höhere Interferon-Dosen benötigen unter denen dann Nebenwirkungen auftreten. Diese Kombinationstherapie kann nach einer gewissen Zeit wieder abgesetzt werden.

Wirkungsverlust der Medikamente (z. B. HU) und eventuelle Kombinationen
Prof. Reiter ist es wichtig viel über das Interferon zu sprechen und Erfahrungen zu sammeln. Nach 6-10 Jahren können Medikamente (Hydroxyurea oder Interferon) ihre Wirkung verlieren.
Patienten benötigen trotz maximaler Dosierung erneut Aderlässe oder es treten Komplikationen auf. Ruxolitinib ist ein wichtiges Medikament in der Zweitlinien-Therapie.

Prof. Griesshammer erwähnt, dass Ruxolitinib in der Spätphase der Polycythaemia Vera eingesetzt wird, wenn Hydroxyurea nicht mehr wirksam ist. Ruxolitinib ist auch wirksam gegen Symptome und bei einer vergrößerten Milz. Die Dosis von Ruxolitinib sollte zweimal täglich (10 mg) eingenommen werden. In einigen Fällen kann eine Kombination aus Ruxolitinib und Hydroxyurea erforderlich sein. Ruxolitinib ist auch eine Option, wenn Interferon nicht mehr wirkt.

Es kann einige Zeit dauern, bis der Patient auf eine Ruxolinib-Therapie anspricht und die Thrombozyten reduziert werden.
In einigen Fällen kann zusätzlich zu Ruxolitinib, Hydroxyurea eine begrenzte Zeit lang gegeben werden.

Polycythaemia Vera wird in der Spätphase komplexer und erfordert möglicherweise Medikamentenkombinationen.

Kontakte, Selbsthilfegruppen und MPN-Netzwerk
Prof. Reiter findet es wichtig, dass es Zentren für Myeloproliferative Neoplasien gibt, zu denen Patienten Kontakt aufnehmen können. Er erwähnt, dass es eine deutsche Studiengruppe für Myeloproliferative Neoplasien gibt und, dass er und Prof. Griesshammer ein Zentrum für Myeolpproliferative Neoplasie leiten. Sie tauschen sich untereinander aus und diskutieren komplexe Fragen in kleinen Gremien. Prof. Reiter betont, dass jeder Patient ernst genommen wird und erwähnt Themen wie Antikoagulation und Schwangerschaft, für die er Prof. Griesshammer als Experten empfiehlt. Betroffene Patienten können auch Kontakt zur Patienten-Organisation „MPN-Netzwerk“ aufzunehmen.

Prof. Griesshammer ergänzt, dass es ein Netzwerk von MPN-Experten in Deutschland gibt und dass es sich lohnt, die Homepage der Studiengruppe oder das MPN-Netzwerks zu besuchen, um Empfehlungen für Experten in der Nähe zu erhalten.

Prof. Reiter hebt die Bedeutung von Selbsthilfegruppen hervor und sagt, dass Patienten, Ärzte und Selbsthilfegruppen zusammenarbeiten sollten. Er erwähnt, dass Selbsthilfegruppen u.a. auch wertvolle Tipps geben können, bei spezifischen Fragen wie z.B. zu Komplikationen, Schwangerschaft und Transplantation.

Verabschiedung
Prof. Reiter hofft, dass die meisten Fragen adäquat und verständlich beantwortet werden konnten. Er ermutigt die Zuhörer, weitere Fragen zu stellen und ihre individuellen Fälle zu diskutieren. Er versichert den Patienten, dass es kein Problem sein wird, Termine bei den genannten Zentren oder bei Prof. Griesshammer und ihm selbst zu bekommen.

AOP Health ist der europäische Pionier im Bereich integrierter Therapien für seltene Erkrankungen und Intensivmedizin und setzt sich für die Verbesserung der Aufklärung über seltene chronische Erkrankungen ein.

 

Vielfach fehlen den betroffenen Patient*innen grundlegende Informationen zu ihrer Situation und den verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten. Mit einer Online-Sprechstunde zur Seltenen Erkrankung Polycythaemia vera gibt AOP Health Betroffenen die Möglichkeit, ihre individuellen Fragen an erfahrene Experten auf dem Fachgebiet der myeloproliferativen Erkrankungen zu stellen. Weitere Information zum Krankheitsbild von seltenen Erkrankungen (myeloproliferative Neoplasien) finden Sie unter https://mpn.network.