Ask an Expert | Polycythaemia Vera | Patientensprechstunde am 9. September 2024

Über Ask an Expert

„Ask an Expert“ bietet Patient:innen die Chance, ihre individuellen Fragen zur seltenen Erkrankung Polycythaemia Vera (PV) an erfahrene Experten in dieser Indikation zu stellen. Denn das Leben mit PV stellt Betroffene vor viele Herausforderungen. Oft fühlen sich Patient:innen unsicher hinsichtlich des Krankheitsverlaufs oder verfügbarer Behandlungsmöglichkeiten. Dann stellen Sie jetzt Ihre Fragen zur PV an unsere Experten.

Die Unternehmensgruppe AOP Health, die sich als europäischer Pionier dem Bereich integrierter Therapien für seltene Erkrankungen und Intensivmedizin widmet, bietet die Reihe „Ask an Expert“ mit ausgewiesenen Experten auf dem Fachgebiet der myeloproliferativen Erkrankungen an.

 

Patientensprechstunde am 9. September 2024

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Nächster Termin:

Experten beantworten Ihre Fragen zur Erkrankung Polycythaemia Vera.
Patientensprechstunde am 28. Februar 2025 von 17 bis 18 Uhr.

Einleitung

Prof. Dr. Andreas Reiter, Leiter des Exzellenzzentrums für myeloproliferative Neoplasien, Mannheim begrüßt die Teilnehmenden zur 7. Ausgabe der Veranstaltung „Ask an Expert“ am 09. September 2024, zum Thema „Myeloproliferative Neoplasien (MPN)“ und speziell zur Polycythaemia Vera (PV).

Er stellt Prof. Dr. Martin Griesshammer, Direktor der Universitätsklinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Palliativmedizin am Johannes Wesling Klinikum Minden, vor.

Die Veranstaltung wird v. a. die aktuell eingegangen Fragen berücksichtigen und unsere Experten teilen ihre Erfahrungen aus dem Praxisalltag mit Ihnen. Komplexere Fälle können nicht ausführlich besprochen werden, aber die Teilnehmenden werden ermutigt, persönlich Kontakt zu den Referenten aufzunehmen. Die Aufzeichnungen aller bisherigen Patientensprechstunden aus den Jahren 2022 bis 2024 sind auf der Website https://ask-an-expert-live.de verfügbar.

JAK-Mutation und Allel-Last

Prof. Reiter beginnt mit der Erläuterung der Ursächlichkeit von Myeloproliferativen Neoplasien (MPN). Er führt an, dass nahezu alle Patient:innen mit einer Polycythaemia Vera (PV) positiv ist für eine Mutation im Janus-Kinase-2-Gen (JAK2) sind. Es handelt sich dabei um die Ihnen vermutlich bekannte JAK2-V617F-Punktmutation. In diesem Zusammenhang sei die Allel-Last entscheidend. Diese gibt eine Aussage darüber, wie viel Prozent der Gene im Knochenmark tatsächlich eine Mutation aufweisen.

Zunächst ist die Allel-Last bei Betroffenen auf niedrigem Niveau und steigt um etwa 2 % pro Jahr an. Diese Mutation können somit bereits Gesunde tragen und es kann bis zu Jahrzehnten dauern, bis die PV-Erkrankung ausbricht. Dies sei stark abhängig von der relativen Mutationslast, welche vermutlich auch mit der Schwere der Erkrankung korreliert.

Prof. Reiter führt weiterhin an, dass die Allel-Last eine wichtige Komponente für die Diagnostik darstellt – insbesondere als Abgrenzung zur Thrombozythämie oder zur Myelofibrose – aber trotzdem das Gesamtbild der Patient:innen, einschließlich dem kardiovaskulären Risikoprofil, betrachtet werden sollte.

Knochenmarkpunktion

Prof. Griesshammer unterstreicht die Bedeutung einer Knochenmarkpunktion im Rahmen der PV-Diagnostik.

Nur in Ausnahmefällen könne auf diese verzichtet werden. Beispielsweise wenn es sich um ältere Betroffene handelt, die weitere Begleiterkrankungen aufweisen und sich ein klassisches Bild einer PV mit hohem Hämatokrit, großer Milz, typischer Klinik mit Juckreiz und niedrigem Erythropoetin (EPO) zeigt. Unter Umständen nehmen diese Patient:innen auch Blutverdünner ein, deren Einnahme man ungern pausieren möchte, um das Knochenmark zu punktieren.
Prof. Grieshammer betont die Notwendigkeit einer Knochenmarkpunktion gerade bei Patient:innen, die um die 50 Jahre alt sind. Sobald sich Fibrosen oder Veränderungen von Blutzellen zeigen, sei diese Untersuchung indiziert.

Auch wenn der Verdacht auf eine Essentielle Thrombozythämie (ET) besteht, sollte das Knochenmark begutachtet werden. Dabei handelt es sich häufig doch nicht um eine ET, sondern um eine frühe oder maskierte PV oder auch um eine präfibrotische Myelofibrose.

Maskierte PV

Prof. Reiter und Prof. Griesshammer diskutieren das Phänomen einer maskierten PV. Eine maskierte PV oder eine vermeintliche ET ist laut der beiden Experten ein Zustand, bei dem sich die PV nicht ausbilden kann. Diese Situation liegt klassischerweise bei Frauen mit Eisenmangel vor. Gibt es im Körper nicht genug Eisen, so bricht die PV nicht raus, weil die roten Blutkörperchen sich nicht entsprechend vermehren können. Es ist dann zwar eine PV, aber sie ist maskiert; man erkennt sie somit nicht auf den ersten Blick.

Auch der Erythropoetin (EPO)-Spiegel spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. EPO ist ein körpereigenes Hormon, welches die Bildung und Reifung der roten Blutkörperchen fördert.

Die Experten betonen abschließend noch die Bedeutung der Knochenmarkpunktion und Bestimmung der Allel-Last, welche Anhaltspunkte für die Diagnose einer maskierten PV liefern können. Eine korrekte Diagnose kann therapieentscheidend sein. Der Wirkstoff Ropeginterferon findet nur bei einer PV Anwendung. So ist es laut der Experten entscheidend, die verdeckten PVs so früh wie möglich zu identifizieren.

Therapie – Aderlass, Aspirin und zytoreduktive Substanzen

Die beiden Experten erörtern, wann eine Umstellung von Aderlass auf eine medikamentöse Therapie angezeigt sein kann.

Prof. Reiter erläutert zunächst, was unter der PV im Körper Betroffener passiert. Sie haben im Vergleich zu Gesunden mehrere Liter Blut zu viel im Körper und es gibt keinen Abfluss. Der normale Körper pumpt etwa 5 Liter Blut durch den Körper, bei der PV sind es sogar 7 oder 8 Liter. Daher beinhaltet die erste Therapiemaßnahme bei den allermeisten Patient:innen Aderlässe von 500 ml Blut in unterschiedlichen Intervallen, sowie die Gabe von Aspirin.

Prof. Griesshammer betont, dass eine anschließende Umstellung auf zytoreduktive Substanzen jedoch erstrebenswert sei.

Das Interferon gilt dabei als Erstlinientherapie. Ausnahmen können Betroffene von Autoimmunerkrankungen wie Psoriasis oder auch Patient:innen mit Depressionen darstellen. Interferon kann in diesen Fällen kontraindiziert sein.

Auch Hydroxyurea steht als zytoreduktive Substanz zur Verfügung. Prof. Griesshammer schätzt Hydroxyurea als guten Wirkstoff für Notfälle ein. Als Langzeittherapie sieht er diesen Wirkstoff nur in Ausnahmefällen, wie bei stark betagten Patient:innen, da die Gefahr von Hauttoxizität besteht und die Entstehung von Hautkrebs begünstigt werden kann.

Zudem beschreibt Prof. Griesshammer Ruxolitinib, ein Arzneistoff, welcher nur nach Anwendung von Hydroxyurea verordnet werden darf und somit als Erstlinientherapie nicht zugelassen ist. Diese Substanz wird von dem Experten als nebenwirkungsarm eingestuft. Gelegentlich kann eine Gewichtszunahme oder erhöhte Infektneigung auftreten.

Alles in allem sind sich beide Experten einig, dass mit der Verfügbarkeit neuerer Substanzen, wie dem Interferon und Ruxolitinib die Krankheit an der Wurzel gepackt und die JAK-Allel-Last gesenkt werden kann. Dies führe zu einer verbesserten Prognose: weniger Thrombosen, längere Überlebenszeit, geringere Fibroseneigung.

Nebenwirkungen

Prof. Reiter beginnt die Ausführungen von Nebenwirkungen einer zytoreduktiven Therapie mit einem Patientenbeispiel. Er berichtet von Patient:innen, die unter Hydroxyurea eine Mundentzündung bekamen oder sich einige Tage nach der Injektion von Interferon unwohl fühlten. Kurzfristige Symptome wie Übelkeit seien seiner Auffassung nach kein zwingender Grund das Medikament abzusetzen. Medikamente gegen die Übelkeit können begleitend verschrieben werden.

Prof. Griesshammer betont weiter, wie wichtig es ist das Interferon langsam aufzudosieren. Aufgrund seiner Praxiserfahrung postuliert er: „Umso schneller hochdosiert wird, desto mehr Nebenwirkungen treten auf.“ Mit langsamen Vorgehen und viel Geduld können so Nebenwirkungen vermieden werden.

Bei der Gabe von Hydroxyurea sind Haut- bzw. Schleimhautnebenwirkungen bekannt. Jedoch gibt Prof. Griesshammer zu bedenken, dass Hydroxyurea in der Regel nicht bei einer Dauertherapie zum Einsatz kommt, sondern bspw. begleitend bei der Eindosierung von Ropeginterferon.

Prof. Griesshammer diskutiert zudem das Auftreten von Polyneuropathien im Zusammenhang mit Hydroxyurea. Dies sei in der Literatur zwar beschrieben, ihm aber im klinischen Alltag noch nicht untergekommen. Der Experte beschreibt die Polyneuropathie als „Allerweltssymptom“, welches vielschichtige Ursachen haben kann.

Fatigue und Eisenmangel

Prof. Reiter und Prof. Griesshammer bringen die Symptomatik der Fatigue als chronisches Müdigkeitssyndrom bei PV zur Sprache. Fatigue kann Betroffene sowohl im Arbeitsleben als auch im Privatleben stark beeinträchtigen. Die Ursache sei häufig schwer zu ermitteln, da sowohl die Therapie als auch die Erkrankung selbst Fatigue bedingen kann.

Den Erfahrungen unserer Experten zufolge, spielt auch der Eisenmangel hierbei eine wesentliche Rolle. Unter der Therapie, insbesondere unter Interferon, wird häufig eine gute Kontrolle des Blutbildes erreicht, Aderlässe sind nicht nötig und es kommt zur Senkung der Mutationslast – aber einzig die Fatigue bessert sich nicht.

Beide Experten stimmen überein, dass Betroffenen in sehr guter Remission und unter engmaschiger Überwachung auch Eisen in Tablettenform verabreicht werden kann. So kann die Fatigue bzw. die chronische Müdigkeit versucht werden ursächlich anzugehen.
Bei Betroffenen mit einer normalen, unbehandelten PV ist jedoch Vorsicht geboten: die Gabe von Eisen kann in diesem Fall wie ein Brandbeschleuniger wirken.

Bei einem weiteren Punkt sind sich beide Experten einig: Das Eisen sollte nicht intravenös appliziert werden.

Dosierungen

Prof. Reiter und Prof. Griesshammer diskutieren in diesem Abschnitt das Thema „Dosierungen“.

Prof. Reiter betont, dass 500 mg Hydroxyurea, also 1 Tablette meistens morgens und abends gegeben wird. Die Maximaldosis ist dabei 2 Tabletten morgens und abends. Viele Betroffene nehmen es an unterschiedlichen Tagen in unterschiedlichen Dosen ein, sodass die Gesamtdosis hierbei ein Problem darstellen kann. Eine hohe kumulative Dosis kann erfahrungsgemäß zu Langzeitnebenwirkungen führen.

Bei der Anwendung von Ropeginterferon ist Prof. Griesshammer besonders wichtig, dass seine Patient:innen das Medikament gut vertragen. Er bevorzugt eine Anfangsdosis von 50 µg für 2 – 3 Monate in Kombination mit Hydroxyurea oder Aderlässen. Als nächste Stufe empfiehlt er 100 bzw. 125 µg, was einem halben Pen entspricht. Wenn diese Dosis gut vertragen wird, würde Prof. Griesshammer das Applikationsintervall auf einen halben Pen pro Monat (zuvor alle 2 Wochen) verlängern.

Er unterstreicht erneut die Bedeutung der vorsichtigen Eindosierung, um Nebenwirkungen vorzubeugen und ein Absetzen des Medikamentes möglichst zu vermeiden.

Zweitlinientherapie

Prof. Reiter und Prof. Griesshammer greifen zum Ende der Patientensprechstunde das Thema „Zweitlinientherapie“ auf.

Prof. Reiter betont, dass bei Versagen oder Unverträglichkeit von Hydroxyurea auch Ruxolitinib in der Zweitlinientherapie zur Verfügung steht. Somit sind mit Ropeginterferon und Ruxolitinib 2 PV-Wirkstoffe verfügbar, die langfristig sowohl die Mutationslast als auch Knochenmarks-Fibrosierung und thromboembolische Ereignisse reduzieren können.

Sowohl bei der Therapieeinleitung als auch Therapieumstellung sei es von Vorteil den Status des Knochenmarks zu kennen, um Verlaufskontrollen der Patient:innen richtig interpretieren zu können.

Schlussworte – keine alten Daten heranziehen!

Beide Ärzte stimmen überein, dass sich Betroffene nicht an alten Daten zur Prognose und Überlebenszeit bei PV orientieren sollten. Sowohl durch die neuartigen Medikamente wie dem Interferon und Ruxolitinib, als auch durch das optimierte Management, könnten sie positiver in die Zukunft schauen. Zuletzt betonen beide die Bedeutsamkeit eines regelmäßigen Patientenkontaktes, um über Jahre hinweg die richtigen Therapieentscheidungen treffen zu können.

Bereits zum 7. Mal fand die Veranstaltung „Ask an Expert“ zur seltenen Erkrankung Polycythaemia Vera statt. Die Veranstaltungsreihe wird von der Firma AOP Health unterstützt.

Unsere Experten freuen sich auf die nächste Patientensprechstunde!

AOP Health ist der europäische Pionier im Bereich integrierter Therapien für seltene Erkrankungen und Intensivmedizin und setzt sich für die Verbesserung der Aufklärung über seltene chronische Erkrankungen ein.

 

Vielfach fehlen den betroffenen Patient*innen grundlegende Informationen zu ihrer Situation und den verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten. Mit einer Online-Sprechstunde zur Seltenen Erkrankung Polycythaemia vera gibt AOP Health Betroffenen die Möglichkeit, ihre individuellen Fragen an erfahrene Experten auf dem Fachgebiet der myeloproliferativen Erkrankungen zu stellen. Weitere Information zum Krankheitsbild von seltenen Erkrankungen (myeloproliferative Neoplasien) finden Sie unter https://mpn.network.