Über Ask an Expert

„Ask an Expert“ bietet Patient:innen die Chance, ihre individuellen Fragen zur seltenen Erkrankung Polycythaemia Vera (PV) an erfahrene Experten in dieser Indikation zu stellen. Denn das Leben mit PV stellt Betroffene vor viele Herausforderungen. Oft fühlen sich Patient:innen unsicher hinsichtlich des Krankheitsverlaufs oder verfügbarer Behandlungsmöglichkeiten. Dann stellen Sie jetzt Ihre Fragen zur PV an unsere Experten.

Die Unternehmensgruppe AOP Health, die sich als europäischer Pionier dem Bereich integrierter Therapien für seltene Erkrankungen und Intensivmedizin widmet, bietet die Reihe „Ask an Expert“ mit ausgewiesenen Experten auf dem Fachgebiet der myeloproliferativen Erkrankungen an.

Patientensprechstunde am 04. Juli 2022

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Nächster Termin:

Experten beantworten Ihre Fragen zur Erkrankung Polycythaemia Vera.
Patientensprechstunde am 29. Februar 2024 von 17 bis 18 Uhr.

Einführung

Prof. Dr. Andreas Reiter, Leiter des Exzellenzzentrums für myeloproliferative Neoplasien, Mannheim begrüßt die Patienten, Teilnehmer und Familienangehörigen herzlich zur zweiten Veranstaltung „Ask an Expert“ am 04. Juli 2022, zum Thema „Myeloproliferative Neoplasien“ und speziell zur Polycythemia Vera (PV). Er stellt Prof. Dr. Martin Griesshammer, Direktor der Universitätsklinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Palliativmedizin am Johannes Wesling Klinikum Minden, vor.

„Aus den beiden Veranstaltungen haben wir schon über 50 Fragen von Patienten bekommen“, berichtet Prof. Reiter. Prof. Griesshammer bedankt sich für das große Interesse der Teilnehmer und freut sich über die zahlreichen Fragen.

Diagnose
Die beiden Professoren diskutieren die Diagnose der Polycythemia Vera und die Bedeutung der Allel-Last und der JAK2V617F-Mutation. Prof. Reiter erklärt, dass eine Knochenmarkpunktion nicht unbedingt erforderlich ist, um Polycythemia Vera zu diagnostizieren. Blutwerte wie der Hämoglobin- und Hämatokrit-Wert, der Erythropoetin-Spiegel im Serum und der Nachweis einer JAK2-Mutation können ausreichen. In Deutschland kommt es jedoch häufig zu Knochenmarkpunktionen, um den Zustand des Knochenmarks zu überprüfen. Im Verlauf der Krankheit können weitere Knochenmarkuntersuchungen notwendig werden, insbesondere wenn das Blutbild oder sich die Milz verändert.

Prof. Griesshammer spricht über die Bestimmung der Allel-Last bei der Diagnose-Stellung: Er erklärt, dass dies noch nicht zum Standard gehört, aber in Zukunft höchstwahrscheinlich dazu werden wird.
Eine Senkung der Allel-Last unter einer Therapie wird im Allgemeinen als positives Zeichen betrachtet. Er betont aber auch, dass keine Veränderung der Allel-Last über die Zeit nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen ist. Die Interpretation der Allel-Last ist im Einzelfall schwierig, und es bleiben viele Fragen offen.

Prof. Reiter sagt, dass die Allel-Last nur ein Teil der gesamten Diagnose ist und dass alle Faktoren wie Blutbild, Erythropoetinwert und Knochenmarkuntersuchungen zusammen betrachtet werden sollten. Bei einigen Patienten mit hoher Allel-Last besteht möglicherweise ein erhöhtes Risiko für arterielle Beschwerden und Thrombosen. In solchen Fällen sollten die Patienten ermutigt werden, Risikofaktoren wie Rauchen zu minimieren.

Vererbung und Mutation
Prof. Reiter äußert sich zu einer Patientenfrage: „Ist die PV-Erkrankung vererbbar?“ Er erklärt, dass die Krankheit selbst nicht vererbbar ist, aber vermutlich ist die Bereitschaft erhöht, bestimmte Mutationen zu entwickeln. Es gibt Familien, in denen die Mutation gehäuft auftritt, aber das ist eher ungewöhnlich.

Die Experten betonen, dass genetische Analysen nicht bedenkenlos durchgeführt werden sollten. Es ist wichtig, die Nutzen-Risiko-Abwägung zu beachten und die Testergebnisse sorgfältig mit einem Hämatologen oder einem Genetiker zu besprechen.

Die Diskussion umfasst auch die Bedeutung von zusätzlichen Mutationstests, wie zum Beispiel der TET2-Mutation. Es wird darauf hingewiesen, dass solche Tests noch neu sind und ihre Auswirkungen auf den einzelnen Patienten noch nicht vollständig erforscht sind. In der Regel werden solche zusätzlichen Mutationsanalysen bei PV nicht routinemäßig durchgeführt.

Prof. Griesshammer weist darauf hin, dass bei einer PV ohne genetische Mutation eine Stammzellenspeicherung nicht empfohlen wird. Die Zurückhaltung bei solchen Entscheidungen wird betont, da zwar Forschungsdaten gesammelt werden, aber eine genaue Einordnung der Ergebnisse noch aussteht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Vererbung von Mutationen im Zusammenhang mit bestimmten Krankheiten wie PV komplex ist. Während es Familien mit gehäuften Mutationen gibt, ist dies nicht die Regel, und genetische Analysen sollten mit Vorsicht betrachtet werden. Eine sorgfältige individuelle Beratung durch Hämatologen und Genetiker ist wichtig, um die richtigen Therapie-Entscheidungen zu treffen.

Therapie und Verträglichkeit
Prof. Griesshammer erklärt, dass Therapien wie Aderlass und ASS Symptome wie Juckreiz und Fatigue nur bedingt behandeln können. Sie sind gut verträglich, aber nicht besonders wirksam auf lange Sicht. Aderlass und ASS werden jedoch als beste und grundlegende Therapien zu Beginn empfohlen.

Hydroxyurea (HU) wird eingesetzt, wenn ein Notfall vorliegt, wie z.B. eine akute Venenthrombose. HU ist die am schnellsten wirksame Substanz in solchen Situationen. Andere Therapien wie Interferon sind langsamer, und Ruxolitinib ist für solche Fälle nicht zugelassen. Hydroxyurea wird seit vielen Jahren verwendet und hat selten gravierende Nebenwirkungen, obwohl es in der Literatur oft mit dem Risiko von Hautkrebs und akuten Leukämien in Verbindung gebracht wird. Prof. Reiter sagt, dass die Vorteile von Hydroxyurea die potenziellen Nebenwirkungen überwiegen.

Das Gespräch geht auch auf Interferone bei der Behandlung von PV ein. Es wird festgestellt, dass Interferon in den letzten Jahren zunehmend als Frühbehandlungsoption betrachtet wird. Es erfordert jedoch eine längere Anlaufphase und ist eher geeignet, wenn die Krankheit sich in einer ruhigen Phase befindet. Hydroxyurea wird hingegen in Notfallsituationen bevorzugt.

Abschließend wird ein neues pegyliertes Interferon, diskutiert. Es wurde in klinischen Studien getestet und zeigt vielversprechende Ergebnisse bei der Kontrolle der PV. Die Experten diskutieren, wann und bei welchen Patienten es im Vergleich zu Hydroxyurea eingesetzt werden sollte. Insgesamt betonen beide Professoren die Bedeutung der individuellen Indikation und des Risikomanagements bei der Auswahl der Therapie für PV-Patienten.

Frühintervention (BESREMi®), Aderlass und Eisenmangel
Im Weiteren werden insbesondere die Fragen der Anwendung von Interferon und der Einsatz von Hydroxyurea bei verschiedenen Patientenprofilen erläutert. Hier sind die wichtigsten Punkte des Gesprächs:

  •  Es wird diskutiert, ob jeder Patient, auch wenn er keine Probleme hat, mit Interferon behandelt werden soll.
  • Es wird über die Frühintervention gesprochen, die heutzutage insgesamt früher erfolgt.
  •  Der Eisenhaushalt der Patienten wird als wichtiger Faktor betrachtet. Die Anzahl der Aderlässe und der Ferritin-Wert beeinflussen die Behandlungsentscheidung.
  • Die Wahl der Behandlung hängt auch von der aktuellen Situation des Patienten ab, z. B., ob eine akute Thrombose vorliegt oder, ob es sich um eine ruhige Phase in der Erkrankung handelt, in der ein schnelles Therapieergebnis nicht im Vordergrund steht. Professor Griesshammer spricht über das Problem des Eisenmangels, der durch Aderlässe verursacht wird, insbesondere bei Frauen, die noch ihre Monatsblutungen haben.
  • Ein Eisenmangel kann deutliche Auswirkungen haben, nicht nur auf die Leistungsfähigkeit, sondern u.a. auch auf die Gedächtnisleistung und Herzfunktion.
  • Die Zulassung von Interferon bietet eine gute Möglichkeit, die Häufigkeit der Aderlässe zu reduzieren.
  • Prof. Griesshammer ist der Überzeugung, dass der Aderlass nur eine begrenzte Therapie sein sollte, insbesondere bei Frauen, die bereits die bereits von einem Eisenmangel betroffen sind.
  • Es wird darüber diskutiert, wann und bei welchen Patienten ein Therapiebeginn mit zytoreduktiven Medikamenten unter Berücksichtigung der aktuellen Situation am besten ist.

Interferon und Nebenwirkungen
Prof. Reiter erwähnt, dass Interferone andere Nebenwirkungen als Hydroxyurea aufweisen und, dass die individuellen Nebenwirkungen eines Patienten berücksichtigt werden müssen.

Die Experten diskutieren die möglichen Nebenwirkungen von Interferon, wie Schilddrüsenprobleme und Haarausfall, betonen jedoch, dass diese Nebenwirkungen individuell unterschiedlich sind und beobachtet werden müssen.

Prof. Griesshammer erwähnt, dass seltene Nebenwirkungen bei Interferonen auftreten können, aber es gibt auch die Möglichkeit der Umstellung auf eine Zweitlinien-Therapie wie Ruxolitinib.
Beide Experten betonen die Bedeutung einer angemessenen Dosierung von Interferonen, da es sonst zu höheren Nebenwirkungen führen kann.

Prof. Reiter spricht über die Fatigue-Symptome bei Patienten mit MPN und PV und betont, dass die Therapie diese Symptome nicht verschlimmern sollte. Die Experten diskutieren, dass Geduld bei der Interferontherapie gefragt ist, da positive Effekte teilweise erst nach Monaten auftreten.
Sie erwähnen, dass in anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich, Interferon bereits seit längerer Zeit erfolgreich eingesetzt wird und einige Patienten nach mehreren Jahren die Therapie beenden können.
Prof. Griesshammer erklärt, dass der Trend zur Frühbehandlung geht, aber die Entscheidung individuell getroffen werden sollte.

Beide Professoren betonen, dass Hydroxyurea kein grundsätzlich schlechtes Medikament ist und in einigen Fällen in Kombination mit Interferon verwendet werden kann.

Prof. Reiter erklärt, dass die Entscheidung, mit Interferon zu beginnen, von verschiedenen Faktoren wie Alter, Blutwerten, Milzgröße und dem Ergebnis einer Knochenmarkpunktion abhängt.

Weitere Medikamente: Jakavi®, Hydroxyurea
Prof. Reiter erwähnt, dass bei der Polycythemia Vera zunächst Aderlass und ASS eingesetzt werden, gefolgt von der Entscheidung zwischen Hydroxyurea, Interferon und in der Zweitlinie Ruxolitinib.

Ruxolitinib ist ein zugelassenes Medikament, welches besonders gegen Juckreiz wirksam ist und seit 10 Jahren zur Behandlung von PV-Patienten eingesetzt wird.

Prof. Griesshammer erklärt, dass die meisten Patienten mit zweimal täglich 10 Milligramm Ruxolitinib beginnen. Einige Patienten benötigen jedoch eine Dosiserhöhung.

Einige Patienten benötigen möglicherweise auch eine Kombinationstherapie mit Ruxolitinib und Hydroxyurea, um Thrombozyten- und/oder Leukozytenanstiege zu kontrollieren.
Nach dem Wechsel von Hydroxyurea auf Ruxolitinib können Thrombozyten- und Leukozytenwerte wieder ansteigen. In solchen Fällen wird zusätzliches Hydroxyurea gegeben, bis der Effekt nachlässt.
Ruxolitinib wirkt nicht so stark zytoreduktiv wie Hydroxyurea und kann bei einigen Patienten zu einem Anstieg der Thrombozyten führen, wenn die Milz durch die Behandlung mit Ruxolitinib verkleinert wird. Prof. Griesshammer betont, dass in solchen Fällen Ruxolitinib nicht abgesetzt werden sollte. Stattdessen sollte zusätzliches Hydroxyurea gegeben werden, um den Effekt auszugleichen.
Es wird darauf hingewiesen, dass Ruxolitinib eher gegen Symptome und eine vergrößerte Milz wirkt, während Hydroxyurea und Interferon besser zur Kontrolle der Blutwerte geeignet sind.

Es wird davon ausgegangen, dass eine sequentielle Therapie mit verschiedenen Medikamenten die Progression und das Überleben von Patienten mit Polycythaemia Vera verlängern kann.
Prof. Reiter erwähnt, dass es ein weiteres Medikament aus der Familie der Tyrosikninaseninhibitoren (zu denen z.B. auch Ruxolitinib gehört) gibt, das jedoch nur bei der Myelofibrose zugelassen ist und für Patienten mit einem Übergang von Polycythemia Vera zur Myelofibrose verwendet werden kann.
Bei Patienten mit einem Übergang von Polycythemia Vera zur sekundären Myelofibrose kann eine Knochenmarktransplantation eine Option sein.

Die Entscheidung über die Wahl der Therapie hängt vom richtigen Zeitpunkt und den individuellen Bedürfnissen des Patienten ab.

Krankheitsmodifikation
Bei den beiden neuen Medikamente, Ropeginterferon alfa-2b und Ruxolitinib, hat Prof. Griesshammer den Eindruck, dass sie die Krankheit modifizieren können und insbesondere genetische Aspekte von PV zu beeinflussen scheinen. „Das ist die große Neuigkeit und Perspektive“, sagt Prof. Griesshammer.

Es wird erwartet, dass sich die Behandlung immer mehr auf diese beiden Medikamentengruppen konzentrieren wird. Interferon wurde als klar modifizierend für die Krankheit angesehen, während für Ruxolitinib noch weitere Daten benötigt werden, um dies eindeutig festzustellen. Es wurde jedoch betont, dass Ruxolitinib wahrscheinlich die chronische Knochenmarkentzündung dämpfen und somit die Krankheit modifizieren kann.

Antikoagulation
Die Experten diskutieren, welche Medikamente zusätzlich zur zytoreduktiven Therapie als Kombinationspartner für die Antikoagulation geeignet sind.
Die Entscheidung, ASS als Zusatzmedikation einzusetzen, sollte individuell im Einzelfall getroffen werden, da es die Blutungsneigung erhöht.

Bei PV-Patienten, die z.B. eine vorausgegangene, unkomplizierte Unterschenkelthrombose hatten, wird in der Regel zu einer zeitlich unbefristeten Antikoagulation tendiert.
In bestimmten Fällen, bei Patienten mit leichten Thrombosen, kann ein Absetzversuch in Erwägung gezogen werden, aber grundsätzlich wird dauerhaft eine Antikoagulation durchgeführt.

Im Hinblick auf arterielle Gefäßverschlüsse wie beim Herzinfarkt und Beinarterienverschlüsse wird betont, dass die Wahl der Behandlungsmethode, unabhängig von der PV-Diagnose vom Kardiologen oder Neurologen getroffen wird. Es werden keine spezifischen Präferenzen für eine bestimmte Methode (z. B. Bypass-Operation, Thrombolyse) genannt, sondern der behandelnde Arzt soll individuell entscheiden.

Die Thrombosearten (venös und arteriell) sind unterschiedliche Ereignisse mit verschiedenen Risikofaktoren, die individuell betrachtet werden müssen. Prof. Reiter weist darauf hin, dass bei jungen Menschen Faktoren wie Körpergewicht, Rauchen und Einnahme der Pille eine Rolle spielen, während Herzinfarkt und Schlaganfall eher ältere Patienten betreffen.

Die Entscheidung, ob zusätzlich zu ASS eine Antikoagulation zum Einsatz kommt, muss individuell getroffen werden.
Es wird festgestellt, dass diese Fragen in einer allgemeinen Sitzung nicht umfassend beantwortet werden können und eine individuelle Beratung erforderlich ist.

Zusammenfassung
In dem Gespräch zwischen Prof. Andreas Reiter und Prof. Martin Griesshammer wurden verschiedene Themen im Zusammenhang mit Thrombosen und assoziierten Erkrankungen diskutiert. Die wichtigsten Punkte des Gesprächs waren:

  • Die Thematik der Thrombosen und assoziierten Erkrankungen ist äußerst komplex und erfordert ein genaues Verständnis des jeweiligen Patienten, um die Probleme erfolgreich zu lösen.
  • Die Behandlungsentscheidung kann letztlich nur im direkten Austausch mit dem einzelnen Patienten durchgeführt werden, da nur so alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden können.
  • Das Gebiet der Polycythaemia Vera (PV) und damit verbundenen Erkrankungen erfordert ein umfassendes Verständnis der Inneren Medizin, um die damit verbundenen Probleme zu bewältigen.

AOP Health ist der europäische Pionier im Bereich integrierter Therapien für seltene Erkrankungen und Intensivmedizin und setzt sich für die Verbesserung der Aufklärung über seltene chronische Erkrankungen ein.

 

Vielfach fehlen den betroffenen Patient*innen grundlegende Informationen zu ihrer Situation und den verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten. Mit einer Online-Sprechstunde zur Seltenen Erkrankung Polycythaemia vera gibt AOP Health Betroffenen die Möglichkeit, ihre individuellen Fragen an erfahrene Experten auf dem Fachgebiet der myeloproliferativen Erkrankungen zu stellen. Weitere Information zum Krankheitsbild von seltenen Erkrankungen (myeloproliferative Neoplasien) finden Sie unter https://mpn.network.